
Nach welcher Devise lebe ich in meinem Alltag? „Viel ist gut“ oder „weniger ist mehr“?
Wir beide hatten uns auf diese Begegnung nach langer Zeit gefreut. Nun steht sie in meiner Tür, und überreicht mir einen Strauß Blumen. Als ich das Papier löse, kommen gelbe Tulpen zum Vorschein. Sie lächelt mich an und sagt: „Ich habe so Lust auf den Frühling!“ Während wir die ersten Neuigkeiten austauschen, lasse ich nebenbei Wasser in eine Vase laufen. „Stopp“, unterbricht sie das Dahinplätschern sowohl des Wassers als auch unseres Gesprächs, „Tulpen brauchen nicht so viel Wasser. Wenn du zu viel reinmachst, wird es schnell schlecht und die Tulpen halten nicht so lange.“ Oh ja, ich erinnere mich an diese „Grüne-Daumen-Weisheit“ … Ich kippe wieder etwas von dem Wasser aus und zeige ihr die Vase. „Meinst du, dass es so passt?“, bitte ich sie um ihre Einschätzung. Sie nickt, und wir stellen die „Frühlingsgefühle“ auf den Tisch, an den wir uns nun gemeinsam setzen, um damit fortzufahren, uns zu erzählen, was in der Zwischenzeit seit unserem letzten Treffen geschehen ist.
„Weniger ist mehr“ – Das gilt vielleicht nicht nur für Tulpenwasser.
Jetzt, in der christlichen Fastenzeit oder als Vorbereitung auf den Frühling, wählen es viele Menschen, eine Weile bewusst zu verzichten. Teils aus religiösen, teils aus gesundheitlichen Gründen nutzen wir die traditionellen 40 Tage vor Ostern oder auch andere Zeitfenster, um uns zu besinnen. Zur Besinnung kommen wir dann, wenn wir uns auf das Wesentliche reduzieren. Wir erfahren, wie heilsam Verzicht sein kann; der (zeitweilige) Verzicht etwa auf Fleisch, Süßigkeiten, Alkohol, auf Fernsehen oder das Internet, ja auf manche Gewohnheiten, denen wir oft unbewusst nachgehen, um uns etwas „Gutes“ zu tun. Das dieses „Gute“ allzu häufig auch zu viel des „Guten“ ist, können wir erfahren, wenn wir es reduzieren oder eine Weile sogar ganz darauf verzichten. Dadurch werfen wir nach und nach den Ballast ab, der sich durch irgendein „Zuviel“ über längere Zeit angesammelt hat. Außerdem werden wir uns bewusst darüber, welche Stellschrauben unseres Lebens wir justieren können, damit das „Zuviel“ nicht wieder überhandnimmt, sondern mehr und mehr einem gesunden Maß der Dinge weicht, nämlich dem Maß, das für uns ganz persönlich stimmig ist und uns guttut.
Alltagsübung
Unabhängig davon, ob ich in dieser vorösterlichen Zeit fasten möchte oder nicht, kann ich diese Wochen für mich nutzen, um mein Leben daraufhin zu betrachten, wo es ein „Zuviel“ oder ein „Zuwenig“ gibt. Ich mache mir dazu bewusst, dass alles sein gesundes Maß hat. Ich kann spielerisch an die Überprüfung des Maßes in unterschiedlichen Bereichen meines Lebens herangehen, indem ich einfach die Bereiche anschaue, dir mir als erstes in den Sinn kommen. Dabei kann es sich um mein Ess- und Konsumverhalten handeln, um die Art und Weise was und wie(viel) ich spreche; ich kann das Maß betrachten, mit dem ich mich in meiner Arbeit eingebe und im Gegenzug das Maß, wie oft ich mir Entspannung zugestehe. Ich kann die Häufigkeit und Intensität meiner Sozialkontakte ansehen und überprüfen, wieviel Zeit ich mir für mich allein nehme usw. Nach und nach schaue ich mir ganz zwanglos an, welche Lebensaspekte mir vor Augen stehen und frage mich jedes Mal: Ist dieses Maß, mit dem ich bisher … getan habe, für mich stimmig? Wenn ja, freue ich mich darüber, mich in diesem Bereich derzeit in Balance zu fühlen, und gehe zum nächsten Bereich über. Wenn nein, stelle ich mir die Anschlussfrage: Was könnte ich jetzt (als ersten kleinen Schritt) tun, um mich in diesem Bereich meinem persönlichen Maß anzunähern?